What the f… is Scham?

„So wie ich bin, bin ich falsch“. Was für ein vernichtender Gedanke. Die gesamte Existenz des Kindes, das ihn denkt oder fühlt, ist in Frage gestellt. Nicht „ich habe etwas falsch gemacht“, sondern „ich bin falsch“. „So wie ich bin, darf ich nicht sein.“ Kein Kind kommt auf die Welt mit der Idee, es wäre nicht in Ordnung, so wie es ist. Dieses Gefühl wird erst erlernt und entsteht, weil es beschämt wird*. Meist von den nahen Bezugspersonen, mit denen es aufwächst. Diese Art von Scham ist destruktiv und wird meist von Eltern an ihre Kinder übergeben, die selber als Kinder von ihren Eltern beschämt wurden. Ein Teufelskreis. Die häufige Wiederholung, die oft mit Beschämungen Hand in Hand geht, lässt in dem Kind eine innere Erfahrung reifen, die ihm unmissverständlich klar macht, dass es grundlegend falsch ist, so wie es ist. Das so erlebte Schamgefühl ist so furchtbar, es brennt wie Feuer und hinterlässt den Wunsch, es möge sich der Boden unter den eigenen Füßen öffnen und einen verschlucken. Ein Kind hat kaum eine andere Möglichkeit, sich zu wehren oder dagegen abzugrenzen. Es wird glauben, was ihm von den Eltern vermittelt wird und es wird alles tun, um diese furchtbaren Situationen zu vermeiden. Es passt sich an. Eine mögliche Anpassung ist das Abschneiden dieser kaum aushaltbaren Gefühle.

Wenn also Erwachsene so gar keine Erinnerungen mehr haben, an das Gefühl der Scham oder an Situationen, in denen es aufgetreten sein könnte, so als hätten sie es nie erlebt, lohnt es sich, einen genaueren Blick auf dieses Thema zu werfen. Möglicherweise hat sich die Erinnerung daran vor langer Zeit abgekapselt, das unsägliche Schamgefühl in seiner Mitte luftdicht eingeschlossen. Denn das Abschneiden, das Vergessen dieser existenzbedrohlichen Gefühle kann ein Kind vor dem Verbrennen bewahren und sich wie kühlender Schaum über die lodernden Flammen legen. Die Situation wird dadurch ertragbarer, ja aushaltbar. Also im Grunde eine gesunde Strategie, um solche Erfahrungen möglichst gut zu überstehen. Warum also dann später die alten Erfahrungen und Wunden noch einmal aufreißen?

Bestimmte Situationen die oft nicht vorhersehbar sind, können tief ins Schwarze der alten Wunde treffen. Die Scham beginnt sofort wieder zu lodern, als wäre sie nie verbannt worden. Denn diese alten Verletzungen bleiben im Unbewussten, häufig auch im Körpererleben, fixiert und können weder verblassen noch sich im Laufe der Zeit wandeln. Natürlich kann ein erwachsener Mensch mit der Zeit lernen, solche Erfahrungen, Menschen oder Situationen möglichst zu vermeiden, die seine alten Wunden wieder aufreißen. Doch im Laufe des Lebens können sich so durchaus massive Einschränkungen für denjenigen oder diejenige ergeben.

Wie also könnte eine Auflösung dieser alten Verstrickungen gelingen?

Zunächst ist es erst einmal wichtig, sich dessen bewusst zu werden, sich den gut vergrabenen Gefühlen wieder anzunähern und die alten Nähte aufzutrennen, die das massive Schamgefühl mit alten Erfahrungen verbinden. Ein großer Schritt, der für die Betroffenen einem Quantensprung gleichen kann, ist, das eigene Schamgefühl zu entdecken, zu benennen und wieder anzuerkennen. Und im günstigen Fall zu erleben, wie andere Menschen einen damit annehmen, mitfühlen und die eigene Situation vielleicht sogar nachvollziehen können. Die Scham verliert ihre Macht, wenn sie gezeigt und mitgeteilt wird. Denn dann wird plötzlich klar, wie wenig sie berechtig ist, die absolute Trennung und Verbannung der Person zu fordern. Ein Schamgefühl suggeriert auch die Gefahr, aus der Gemeinschaft ausgeschlossen zu werden, und das bedeutet im Erleben eines Kindes den sicheren Tod. Gerade durch diese drastische Wortwahl wird vielleicht klar, wie sich hier das Erleben eines Kindes mit der Realität eines Erwachsenen vermischen können. Und genau darum geht es beim Auflösen dieser alten Reaktionsmuster: die Realität im Hier und Jetzt eindeutig abgrenzen zu können von alten Situationen im Dort und Damals, als man als Kind noch absolut abhängig war von den eigenen Bezugspersonen. So wird im günstigsten Fall der alte Urgrund wieder gelöscht und auf dem Boden des matten, schwarzen Nichts können wieder neue, der heutigen Situation angemessene, Reaktionsmuster entstehen. Und doch bleibt nach diesem Prozess das Wissen um die eigene Verletzlichkeit, die ebenso zur Lebendigkeit im Leben gehört wie z.B. Mut und Stärke. Wer sich diesen schwierigen Gefühlen seiner eigenen Scham stellt, unterbricht auch den Kreislauf, diese ggf. unbewusst an die eigenen Kinder oder andere nahestehenden Personen weiterzugeben. Denn je mehr sich jemand mit den eigenen Emotionen und Gefühlen auseinandersetzt, je besser die eigenen Reaktionsmuster kennt, desto mehr kann er oder sie wirklich Verantwortung für das eigene Erleben übernehmen.

* abgegrenzt wird hier eine „gesunde“ Form von Scham, die den Menschen davor bewahrt, seine Intimsphäre zu verletzen, sich in Situationen lächerlich zu machen oder sich bloßzustellen.

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