Was ist Spaltung?
- Das Tun arbeitet gegen das Wollen
- Entweder gut oder böse, schwarz oder weiß
- Selbstbild ≠ Bild, das andere haben
- Idealisierung oder Abwertung
Die Psychoanalyse versteht unter Spaltung einen Abwehrmechanismus, mit dem unaushaltbare, bedrohlich ambivalente Gefühle aus dem Bewusstsein abgetrennt werden. Diese abgespaltenen Inhalte sind dem Bewusstsein weder kognitiv zugänglich, noch werden sie gefühlt, was für ein Kind eine enorme Entlastung bedeutet[1]. Es handelt sich um ganz frühe Abwehrmechanismen, die zu einer Zeit entstehen, in denen ein Säugling nur zwischen gut (zugewandt, nährend, tröstend) und „böse“ (abwesend, kalt, hungrig) unterscheiden kann. Bleibt die Mutter (oder eine andere nahe Beziehungsperson) konstant liebevoll, zugewandt und fürsorgend und schafft sie es, sich trotzdem in angemessener Weise abzugrenzen, entwickelt das Baby Urvertrauen, dass die Mutter kommt, wenn es sie braucht, obwohl es auch Zeiten gibt, in denen sie nicht da ist. Es versteht im Laufe der Zeit, dass die Mutter „Sowohl-als-Auch“ anwesend und abwesend sein kann. Das führt letztendlich dazu, nicht nur bei ihr, sondern auch bei sich selbst diese Ambivalenzen zu tolerieren und anzunehmen. Es nimmt sowohl die Mutter, als auch sich selbst, als eigenständige Persönlichkeit mit eigenem Empfinden wahr. Macht das Kind allerdings frühe Gewalterfahrungen, wird es vernachlässigt, überfordert, mit Unberechenbarkeit konfrontiert oder empathielos behandelt, bleiben in ihm die frühen Spaltungstendenzen erhalten[2].
Menschen, die auch im Erwachsenenalter auf Spaltung als Abwehrform zurückgreifen (müssen), weil sie ungünstige Bedingungen in ihren frühen Lebensjahren erfahren, sind sich ihrer Tendenzen selber nicht bewusst. Ihre Welt ist von Schwarz-Weiß-Denken geprägt: es gibt entweder gut oder böse. Das Gegenüber wird entweder idealisiert, vor allem dann, wenn es ihre Bedürfnisse erfüllt. Erfüllt es diese Erwartungen nicht, muss es abgewertet werden (was nicht gut ist, muss also „böse“ sein). Bedenkt man, wie solche Spaltungstendenzen entstehen, wird schnell klar, dass ein Betroffener auch im Erwachsenenalter noch darauf angewiesen ist, seine Bedürfnisse von anderen erfüllt zu bekommen. Ein reiferes Verständnis, dass auch ein anderer Mensch ein Individuum mit eigenen Wünschen, Bedürfnissen und Empfindungen ist, ist kaum vorhanden.
Weiterhin fällt auf, dass das Selbstbild, das Betroffene von sich haben, weit von dem Bild entfernt ist, was ein Außenstehender zeichnen würde. Jemand hält sich selbst für äußerst empathisch (gut) merkt aber zum Beispiel nicht, wie herablassend (wie böse) er mit seinem Gegenüber umgeht. Diese „böse“ eigene Seite ist abgespalten und dem Bewusstsein nicht mehr zugänglich. Es kommt nicht selten vor, dass diese abgewehrten, unliebsamen Eigenschaften in die Außenwelt projiziert werden, wo sie dann „bekämpft“ werden können, ohne zu merken, wie man selber ebenfalls diese Eigenschaften aufweist. Diese Ambivalenz, diese Kluft ist für Außenstehende häufig gut sichtbar. Sie wundern sich dann, oder sind irritiert, wie sich zum Beispiel jemand über Verhaltensweisen eines Kollegen echofieren kann und selber die gleichen Verhaltensweisen bei anderer Gelegenheit zeigt. Darauf angesprochen, wird der Betroffene sich vehement wehren und verleugnen, sich ebenfalls so verhalten zu haben. Nicht umsonst spricht die Psychoanalyse von „Abwehrmechanismus“.
Gerade wenn das, was jemand sagt (und was er häufig auch will) und das, was er dann tut bzw. was am Ende dabei herauskommt, immer wieder völlig konträr zueinanderstehen, sind Anteile dem Bewusstsein offensichtlich nicht mehr zugänglich, die dann unbewusst das Handeln bestimmen. Das ist auch die große Schwierigkeit im Umgang mit diesen Menschen: dadurch, dass die Handlungen vom Unterbewusstsein mit gesteuert werden, ist eine Lösung auf der kognitiven Ebene, zum Beispiel durch eine willentliche Einigung, kaum oder gar nicht möglich. Die Einigung kann zwar zunächst erreicht werden, weil durchaus eine Einsicht besteht, dass das Ergebnis nicht dem ursprünglichen Wunsch entspricht, doch wird sich langfristig nichts verändern können, wenn dem Betroffenen die eigenen Spaltungstendenzen nicht klar werden. Spaltung bedeutet ja gerade, dass etwas im Bewusstsein nicht zusammenkommen darf, was durch den Mechanismus getrennt werden muss.
Menschen mit einer Borderline Struktur oder einer narzisstischen Organisation greifen in der Regel auf Spaltung als Abwehr zurück, da beide Organisationsstrukturen ebenfalls in dieser frühen Kindheitsphase entstehen. Es bleibt quasi ein sehr früher Mechanismus, der im Laufe der Reifezeit eines Kindes verblassen würde, bestehen. Solche Menschen wirken besonders im Umgang mit Konflikten häufig kindlich und unreif. Das erzeugt häufig Leid im direkten Umfeld.
Spaltungsmechanismen spielen darüber hinaus auch in Gruppen und in der Gesellschaft eine Rolle. Auch hier geht es um das Auseinanderhalten von Eigenschaften, Werten oder Meinungen, die nicht zusammengebracht werden dürfen. Da geht es um „drinnen“ oder „draußen“ und es wird Stimmung gegen die jeweils andere Seite gemacht. Solange die Spaltung aufrechterhalten werden muss, sei es im Individuum oder in der Gruppe, ist keine Integration möglich, die aus dem „Entweder-Oder“ ein „Sowohl-als-Auch“ machen könnte.
Wer als Angehöriger, Freund oder Kollege die Vermutung hat, dass jemand im nahen Umfeld betroffen ist, sollte sich unbedingt Informieren bzw. auch Unterstützung durch professionelle Hilfe suchen im Umgang mit Betroffen. Die Dynamiken, die daraus entstehen können für alle Beteiligten sehr belastend sein.
Siehe dazu auch meinen Artikel zu Nicht-Gefühlen Nicht-Gefühle ⋆ Psychotherapie Erlangen
[1] Der Absatz basiert auf Psychoanalyse: Spaltung, Entwicklung, Stillstand
[2] Der Absatz basiert auf Spaltung: Psychodynamische Bedeutung und mögliche Folgen