Nicht-Gefühle
Nicht-Gefühle sind abgespaltene Gefühle, die in den Situationen, in denen sie üblicherweise auftreten würden, nicht gefühlt werden, obwohl sie passend, angebracht oder vielleicht sogar notwendig wären. Beispielsweise trennt sich gerade eine Frau von ihrem Partner und dieser erzählt einem Vertrauten, dass ihm das gar keinen Stress mache, dass er nicht wütend, nicht verletzt oder nicht traurig sei, und gar keine Angst habe, wie es nun weitergehen solle. Gehen wir davon aus, dass der gerade Verlassene seinem Freund die Wahrheit sagt und nicht nur so tut, als käme er mit dieser Ausnahmesituation bestens klar. Sondern dass er das meint, was er sagt: dass er diese Emotionen, die jede für sich – je nach Situation – mehr als verständlich wären, wirklich nicht spürt.
Irgendwo scheint diesem Mann aus dem Beispiel die Verbindung zu diesen Emotionen verloren gegangen zu sein und zwar genau jenen, die eigentlich in so einer Krise auftauchen würden. Diese Nicht-Gefühle erscheinen just in dem Moment auf der Bildfläche, in dem das eigentliche Gefühl, also Wut, Verzweiflung, ja vielleicht sogar Ohnmacht, Hilflosigkeit oder Trauer da sein könnten. Als würde das Nicht-Gefühl das darin enthaltene Gefühl, das in diesem Moment eben nicht gespürt werden soll, auslöschen. Doch ist das wirklich so?
Irgendwo scheint es doch eine dünne Verbindung zu geben, über die Verneinung, die das Nicht-Gefühl zu dem hervorholt, was in dem Moment vielleicht zu unangenehm, beängstigend oder vielleicht sogar zu bedrohlich erscheint. Das kann in dem Augenblick einer Krise tatsächlich eine gute „Strategie“ sein, sich nicht sofort mit all den überwältigen Gefühlen auseinandersetzen zu müssen, die einen in dem Moment vielleicht überrollen würden. Doch auf lange Sicht ist es ehr hinderlich. Denn die Verarbeitung der Situation kann erst stattfinden, wenn sie in ihrem vollen Ausmaß akzeptiert (und damit auch gefühlt) werden kann. Erst wenn es gelingt (nach und nach) die Verbindung zu den verleugneten, abgespaltenen Gefühlen wieder herzustellen, kann ein Verarbeitungs- und Heilungsprozess in Gang kommen.
Hat jemand diese „Strategie“ entwickelt, sich den Gefühlen so einer Krisensituation nicht zu stellen, hat das in der Regel einen guten Grund, der zu so einer Anpassungs-Reaktion geführt hat. Vielleicht ist die Person (noch) nicht dazu bereit, sich dem ganzen Ausmaß der Situation und den damit einhergehenden Emotionen zu stellen. Vielleicht braucht sie erst ein gewisses Maß an innerer Stütze und Stabilität um diese abgelehnten, abgetrennten Gefühle tatsächlich wieder im eigenen Gefühlserleben zuzulassen und sie letztendlich zu integrieren. Eins ist jedenfalls klar: wer darüber spricht, dass er keine Angst in gewissen Situationen hat, hat einen guten Grund, auf diese „Nicht-Angst“ hinzuweisen. So ist die Angst letztlich doch in der Aussage aufgetaucht, auch wenn sie nicht gefühlt werden kann. Wer keine Angst in einer Situation hat, wird das nicht erwähnen.
Siehe dazu auch mein Artikel zum Thema Spaltung Was ist Spaltung? ⋆ Psychotherapie Erlangen