New Leader - Was macht eine Führungskraft zukünftig aus?

Der alte Führungsstil, bei dem der Chef ansagt und die „Mannschaft“, ohne zu hinterfragen oder nachzudenken, einfach ausführt, hat wohl in den meisten Unternehmen ausgedient (so hoffe ich zumindest). Doch was zeichnet eine Führungskraft aus, wenn die Teams sich selbst organisieren, für neue Projekte neu zusammengesetzt werden, es immer weniger Konstanten zu geben scheint und die Veränderungs-Zyklen kürzer werden? Das könnte so manche Führungskraft in eine Identitätskrise stürzen: „was ist dann meine Aufgabe? Wie soll ich dann führen, wenn mein Team mehr oder weniger alleine läuft?“ Bis hin zu „was bin ich dann noch wert?“

Hier ein paar meiner Gedanken dazu, wie Führungsqualitäten in der Welt von eigenverantwortlich arbeitenden, sich selber organisierenden Teams in flachen, hierarchischen Strukturen, aussehen könnten. Zunächst die schlechte Nachricht: ja, wenn die Strukturen flacher werden, dann sollte es auch deutlich weniger ausgewiesene Führungskräfte geben. Das ist eine logische Folge aus so einer Organisationsstruktur, wenn sie wirklich gelebt wird. Dafür übernehmen mehr Team-Mitglieder zeitweise die Führungsrolle, nämlich genau dann, wenn ihre Expertise gefragt ist. Im Idealfall hat sich das Team so organisiert, dass jeder genau an dem Platz ist, an dem er (immer m/w/d) sich wohl fühlt und seine Fähigkeiten optimal entfalten kann. Und das Team – und die übergeordnete Führungskraft – erkennen diesen Rollenwechsel auch jedes Mal an, wenn er aufgrund der Aufgabe stattfindet. Das kann einerseits ganz schön verwirrend sein, andererseits birgt es die Chance, dass sich das Team wirklich nach dem ausrichtet, der sich gerade – aufgrund seiner realistischen Selbsteinschätzung – die Führung dieser Teilaufgabe zutraut. Es erfordert sehr viel Flexibilität von allen beteiligten und ein unbedingtes Verständnis vom eigenen Wert und den eigenen Fähigkeiten. Doch nehmen wir einmal an, wir hätten so ein ideal zusammenspielendes Team. Wozu bräuchte es dann eine übergeordnete Führungskraft?

Weil es Menschen braucht, die den Weitblick haben – und die Zeit dafür – in die Zukunft zu denken, eine größere Vision zu entwickeln, um den Kurs und die dafür notwendigen Vorbereitungen und Anpassungen für das Unternehmen zu entwickeln. Und – vor allem in großen Unternehmen – braucht es darüber hinaus Menschen, die diese Visionen und Entwicklungsideen dann in ihre Teams tragen und sie gemeinsam umsetzen. Hier kommen schon Qualitäten zu Tage: nämlich das „brennen“ für ein übergeordnetes Ziel und das „Weitertragen“ dieses „Feuers“ in die Teams, so dass dort der „Funke“ überspringen kann und sich die Menschen mit dem gemeinsamen, übergeordneten Ziel identifizieren können. Denn wenn eine Identifikation mit einem übergeordneten Ziel bei jedem stattfindet, dann entsteht ein Sinn. Und wenn das Team es für sinnvoll erachtet, diesem Ziel zu folgen, dann wird es sein Möglichstes dafür tun, das auch umzusetzen. Doch dieses Bild erscheint wieder recht hierarchisch: Da sagt da oben jemand, wo es langgeht und das wird dann nach unten in die „Mannschaft“ weitergegeben. Das wäre „old school“. Es braucht also auch die Möglichkeit, der Rückmeldung, wenn etwas mit dem Kurs nicht stimmt. Die Meldung „Eisberg voraus“ kann vom „kleinsten Matrosen“ an Board kommen, auch wenn die Richtung an sich stimmt. Und hier genau sind die Führungskräfte gefordert.

Sie sollten aus meiner Sicht Nein sagen können und zwar vor allem auch zurück an die eigene Führungskraft. Aber auch Nein zu unsinnigen Zielen, Nein, wenn Gefahr bei der Ausführung droht, Nein, wenn das gewünschte Ziel in der gegebenen Zeit schlicht nicht umsetzbar ist. Nein ist eine Qualität, wenn es die fundierte Aussage einer Fachfrau (m/w/d) ist, die um die Gefahren oder die Sinnlosigkeit weiß, die mit dem Ausführen der Aufgabe verbunden wäre. Nein ist eine Qualität, wenn es darum geht das eigene Team vor dem „Ausbrennen“ zu bewahren oder mit sinnlosen, administrativen Aufgaben zusätzlich zu belasten. Hier ist echte Führungsqualität gefordert, für die eigenen Überzeugungen einzustehen. Und auch zu akzeptieren, wenn einem ein Nein entgegengebracht wird. Gerne zu hinterfragen, dann mit Herz und Verstand zu entscheiden und ggf. den Kurs zu wechseln, wenn es Sinn macht.

Das zeigt weitere wichtige Qualitäten der neuen Führungskräfte: die Fähigkeit, sich einzugestehen, dass der eingeschlagene Kurs eine Korrektur braucht, und diese dann auch auszuführen, egal von wem der Impuls dazu kommt. Und die Fähigkeit nicht nur mit dem Verstand zu entscheiden, sondern auch mit dem Herzen. Ist das wirklich gut, was wir hier machen? Schadet es anderen oder der Umwelt? Oder schaden wir uns am Ende sogar selber? Das sind wichtige Fragen, die rationale Entscheidungen unbedingt zukünftig ergänzen müssen. Höher, schneller, weiter war gestern. Wir merken bereits, dass wir unsere Erde nicht beliebig ausbeuten können, dass es wichtig ist, Menschenrechte einzuhalten und ethische Entscheidungen zu treffen. Das wird von zukünftigen Führungskräften verlangt. Es wird also mehr und mehr darum gehen, das eigene Menschsein mit einzubeziehen. Die eigene Intuition wieder zu entdecken und dem Bauchgefühl eine Stimme zu geben, wenn es sich „komisch“ anfühlt, auch wenn alle gerade sichtbaren Punkte dafürsprechen. Sich selber als Führungskraft auch mal verletzlich zu zeigen, anzuerkennen, dass man etwas nicht gewusst, oder nicht vorhergesehen hat und es dann zu wertschätzen, wenn ein anderer im Team so aufmerksam war. Wir sind alle Menschen. Niemand ist perfekt, wir alle machen Fehler. Gottseidank, denn sonst wären wir Roboter. Und die können nicht, wie wir Menschen, eine Atmosphäre erfassen, die im Raum steht, Stimmungen oder Emotionen wahrnehmen und auswerten. Das werden Qualitäten sein, die in Zukunft für die Führungskräfte eine immer größere Rolle spielen.

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